Der Geschmack des Ostens by Jutta Voigt
Autor:Jutta Voigt
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2017-04-18T16:00:00+00:00
Aal oder nichts
»Mein Gott, was haben wir gegessen in den Sechzigern, Soljanka natürlich«, sagt Frau R. »die habe ich zu Hause nachgekocht, ich kannte sie aus den Stolowajas, ich hatte öfter in Moskau zu tun. Soljanka aus Resten vom Sonntagsbraten, aus Knackwurstscheiben, Brühe, Zwiebeln, sauren Gurken und Pilzen, die ich aus dem polnischen Hortex-Laden besorgt hatte; Soljanka war mal was anderes, interessanter als immer nur Kartoffelsuppe.« Rindfleischsalat habe sie zum Abendbrot gerne gemacht, mit Paprika und Tomatenketchup, der sah rotbraun aus und muÃte ganz kalt sein. »Und KaÃlerkotelett«, sagt Frau R., mitgerissen vom Rausch der Erinnerung, »KaÃlerkotelett aus dem Ofen! Das Fleisch hat wunderschön ausgesehen, in der Mitte ein Herz aus Magerem, auÃen zarte Fettadern, das Fett bringt doch erst den Geschmack.«
Es seien andere Schweine gewesen damals, davon ist sie überzeugt, die Schweine von damals hätten noch nicht so viele Wassereinlagerungen gehabt, heute komme das Fleisch so ausgetrocknet aus dem Ofen. »Wissen Sie noch, wie die Fleischläden gerochen haben, der kühle Duft nach Geräuchertem?« â sie zieht Luft durch die Nase, als wäre der Duft heraufzubeschwören. Neulich sei sie in einer Fleischerei in Polen gewesen, in SÅubice, da würde es immer noch so riechen; sie habe Wurst mitgenommen, obwohl sie keine brauchte, sie habe den Geruch gekauft. Ist das nun Ostalgie, wenn man sich nur noch an den Duft erinnert und nicht mehr an die Schlangen, die freitags vor den Fleischläden standen?
Ich sitze mit Frau R. in einem dieser groÃen Cafés unter den S-Bahn-Bögen am Hackeschen Markt in Berlin. »Ein Ciabatta mit Parmaschinken bitte!« Ich habe vergessen, zu sagen, daà sie mir keinen Salat drauftun sollen. Nun muà ich fertig werden mit den nassen Salatblättern und der nassen Tomate, die, vereint in ihrer schlechten Absicht, in den Schinken sickern und seinen Geschmack verwässern. Er ist trotz des Salatbads trocken und viel zu salzig. »Man sollte so was nur beim Italiener essen«, höre ich mich mäkeln. Als hätte ich schon immer die Wahl gehabt zwischen den Küchen dieser Welt.
Die DDR habe viel Schweineschinken exportiert, sagt Frau R., »der kam dann als italienischer Parmaschinken zurück, aber nur in die Delikatläden«. Am Wochenende haben sie und ihr Mann manchmal ein Sektfrühstück veranstaltet auf der schwarzen Doppelliege, die sie sich hatten bauen lassen, Rotkäppchen halbtrocken und gebratene Schweinefilets auf frischen Brötchen, das Filet hob ihr der Fleischer von nebenan auf, manchmal. »Natürlich war das eher selten«, sagt Frau R., »wir haben ja beide studiert, so billig war Schweinefilet nun auch wieder nicht.« Für die Liege hatten sie einen Kredit aufgenommen. Der sei nur gewährt worden, wenn nicht die Mangelware Schaumstoff verwendet wurde, erinnert sich Frau R., der Polsterer hat dennoch Schaumstoff-Anteile eingearbeitet.
»Fettheringe haben wir gegessen«, sagt Frau R. entschlossen. »Kopf ab, Schwanz ab, Bauch aufschlitzen. Rogen oder Milch rausnehmen, die Milch kann man später unter die Tunke rühren.« Für das Wort Tunke entschuldigt sie sich, sie käme aus der Lausitz. Ich kann sie beruhigen, das Wort Tunke wird in sämtlichen Kochrezepten, auf sämtlichen Speisekarten verwendet, bis in die Achtziger war die Sauce eine Tunke. Wenn Frau R.
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